Kretschmer 2019 2

"Die CDU kann keinen linken Ministerpräsidenten wählen."

Unser Landesvorsitzender, Ministerpräsident Michael Kretschmer, im Interview mit dem Münchner Merkur

Herr Ministerpräsident: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, FDP-Kemmerich sei gewählt?

Ehrlich gesagt: Ich habe mir schon früher Gedanken gemacht. Meine Sorgen haben begonnen, als ich gesehen habe, wie selbstherrlich die Ramelow-Koalition ohne eigene Mehrheit Verträge schließt und Posten verteilt – Rot-Rot-Grün war vom Volk abgewählt! Das war ein starkes Stück. So ein Wahlergebnis sollte man erst einmal mit Demut annehmen, statt so zu tun, als wäre nichts gewesen.

Hätte die CDU Ramelow denn zur Mehrheit verhelfen sollen?

Die CDU in Thüringen hat sich durch ihr Agieren in eine ausweglose Situation gebracht und dafür öffentlich den schwarzen Peter abgeholt. Es ist völlig klar: Die CDU kann keinen linken Ministerpräsidenten wählen. Das muss man aber auch nicht. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn man miteinander spricht und sich auf zentrale Inhalte mit einer geschäftsführenden Regierung einigt, die gemeinsam zu beschließen sind.

Da hätte der Rest der CDU in Thüringen mitgemacht?

Ja. Aus Verantwortung für das Land.

Die Kritik aus Berlin, von der Kanzlerin und von der scheidenden CDU-Vorsitzenden, ist scharf. Zu scharf?

Die Empörung über die Wahl von Kemmerich mit AfD-Stimmen ist berechtigt. Natürlich besteht der Verdacht, dass auch künftig auf AfD-Stimmen setzt, wer sich von deren Fraktion wählen ließ. Das war ein großer Fehler. Mir gefällt allerdings auch die Art und Weise nicht, wie jetzt die ganze Koalition in Berlin über diesen Vorgang spricht

Ein „unverzeihlicher Vorgang“, heißt es in einem Koalitionsbeschluss...

„Unverzeihlich“ – was ist das für eine Sprache? Was bedeutet das? Diese Unerbittlichkeit in der Wortwahl ist aus meiner Sicht nicht zu akzeptieren. Auch in einer so schwierigen Situation muss die Tonlage unter Demokraten vernünftig bleiben.

Was wird nun passieren in Thüringen?

Gerechtfertigt fände ich eine Regierung unter einem neutralen Experten, der für die nächsten Monate – maximal ein Jahr – die Geschäfte führt und geordnet auf eine Neuwahl zusteuert. Das wäre möglich, wenn sich SPD, CDU, Grüne und FDP einig sind. Statt dessen werden wir wohl leider erleben, dass sich Rot-Rot-Grün in seiner Selbstherrlichkeit bestätigt fühlt und in ihrer Hybris die Wahl Ramelows erpresst

Wie viel hat die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hier überhaupt noch zu sagen?

Wir haben gemeinsam die Linie verabredet, dass wir nicht mit AfD und nicht mit der Linken zusammenarbeiten. Das gilt. Entschieden werden die Details dann vor Ort.

Versteht der Westen den Osten nach 30 Jahren ausreichend?

Wir sollten uns stärker darüber freuen, was gelungen ist. Wir sollten uns häufiger begegnen. Dann werden wir feststellen, dass die Sorgen, die man im Bayerischen Wald hat, ähnliche sind wie bei uns im Erzgebirge: Versorgung, Demografie. Darüber werden wir übrigens bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung mit der Bayerischen Staatsregierung im März in Hof reden.

Die Kanzlerin kommt aus den neuen Ländern. Gerade dort stößt sie aber auf die wüsteste Kritik. Warum ist das so?

Die Menschen in den neuen Ländern sind politisch nicht so klar festgelegt. Und: Sie sind ungeduldiger. Ich bin auch ungeduldig. Die Zufriedenheit bei sehr niedriger Arbeitslosigkeit, hohem Wohlstandsniveau und hohen Einkommen – die haben wir eben nicht. Die Leute artikulieren deutlicher, was sie stört. Die neuen Länder sind ein Seismograf für die Stimmung in Deutschland.

Ihr Rat: Politiker, schaut genauer auf den Osten?

Aktuell reicht es schon, zum Bäcker zu gehen und dort den Leuten zuzuhören. Die ärgern sich zum Beispiel über diese unterirdische Bon-Pflicht. Die Leute sind damit nicht einverstanden. Es ist vollkommen klar, dass das ein Fehler der Politik war. Für das Ansehen der Politik wäre es gut gewesen, diese Kritik aufzunehmen und zu ändern.